Wismar, Marktplatz: Hier ein „Alter Schwede“, dort „Mannloch und Frauloch“, da die „Tittentasterstaße“ und am Rande die „Wasserkunst“. Wo sonst findet man so viel Außergewöhnliches an einem Platz versammelt, außer im Zentrum von Wismar?
Genauer: am Marktplatz der alten Hansestadt, deren Altstadt zum UNESO Weltkunsterbe gehört. Wismars Marktplatz ist ohnehin sehenswert. Denn mit den Maßen 100×100 Meter ist er der größte Norddeutschlands. Natürlich ist die 10.000 Quadratmeterfläche geplant gewesen. Sie wurde auf dem Reißbrett entworfen.
Es waren die Herren von Mecklenburg, die 1226 den Stadtplan zeichneten und Wismar gründeten. Ein Plan, der rasch Neusiedler und Mönche anzog. Mehrere einzeln gelegene Siedlungen wuchsen zudem zusammen, die „Neustadt“ kam hinzu. 50 Jahre nach Stadtgründung zog man um die Plansiedlung eine Stadtmauer. Fertig war Wismar.
Leicht bergan führt der Weg durch die heutige Fußgängerzone in der Altstadt Richtung Marktplatz. An einem Eckbau stoppe ich. Das Kaufhaus Karstadt steht hier. Interessant ist, dass dies der erste Karstadt überhaupt ist, das Stammhaus. 1881 hat hier (das jetzige Gebäude wurde 1908 gebaut) Rudolph Karstadt sein erstes Geschäft in unter dem Namen „Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt“ gegründet. Drei Jahre später folgte Haus Nummer 2. In Lübeck. Schon 1920 waren es 30.
Als die Schweden Wismar verpfändeten
Am Markt von Wismar
Auch vor Café Hegede, gleich neben dem Rathaus, stehen Tische und Stühle. Beim Kaffee auf dem belebten Platz lässt sich die Schönheit der ihn umgebenden Häuser erst so recht erfassen. Weiß strahlt die Fassade des Rathauses in klassizistischem Stil. Der jetzige Bau stammt von 1817; Gewölbe des Rathausbaus aus dem 15. Jahrhundert kann man sogar besichtigen. Denn im Keller befindet sich die Ausstellung „Wismar – Bilder einer Stadt“, die Kunstwerke aus der Stadtgeschichte zeigt.
Auf der einen Seite des Marktplatzes locken Cafés und Restaurants in historischen Bauten, gegenüber aber stehen die wirklichen Prachtstücke: die alte schwedische Kommandantur, der Alte Schwede und das Reuterhaus. Letzteres ist ein spätbarockes Haus, in dem im 19. Jahrhundert ein Buchverlag residierte, in dem der in Wismar bekannte Schriftsteller Fritz Reuter seine Bücher verlegen ließ.
„Tittentasterstraße“ und „Alter Schwede“?
Gleich daneben das Straßenschild „Tittentasterstraße“. Vermutlich wohnten an dieser ehemaligen engen Straße Hebammen oder in dieser Gasse boten Ammen ihre Dienste an. Jedenfalls haben die Hebammen hier die Stillfähigkeit zu engagierender Ammen durch Tasten der Brust getestet, heißt es.
Wussten Sie woher der Ausdruck „Alter Schwede“ kommt? Die Antwort: Nach dem 30-Jährigen Krieg wurden verdiente ältere Soldaten der schwedischen Armee als Ausbilder von den Preußen eingestellt. „Alter Schwede“ war der Respektsausruf junger preußischer Soldaten gegenüber diesen Ausbildern.
Das älteste Bürgerhaus der Stadt Wismar (gebaut 1380) heißt aber erst seit dem 19. Jahrhundert „Alter Schwede“. Das hat mit der historischen Aufarbeitung der Schwedenjahre in Wismar in diesen Jahren zu tun. Sinnbild des Namens ist ein „Schwedenkopf“ über dem Eingang des Hauses, in dem sich heute ein Restaurant befindet.
Mannloch und Frauloch
Ein überaus interessantes Kunstwerk im Stil der niederländischen Renaissance aber ist die „Wasserkunst“, das Wahrzeichen Wismars. Die um 1600 gebaute „Wasserkunst“ auf dem Marktplatz ist eine Art Verteilsystem, bestehend aus Pumpwerk, Wasserbehälter und einem Röhrensystem für Trinkwasser. Rund 220 Häuser und 16 Schöpfstellen wurden durch das Leitungssystem mit Quellwasser versorgt. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war die Wasserkunst in Gebrauch.
Zwei Wasserspeier, ‘Nix und Nixe’, gab es ebenfalls. Erst im, später vor dem Bauwerk. Nachdem sich 300 Jahre lang niemand an deren Aussehen gestört hatte, hielten die Preußen die Figuren für unmoralisch bzw. „unschicklich“. Da die Wismarer „Nix und Nixe“ auch Frauloch und Mannloch nannten, ließ man die Figuren 1897 entfernen. Die Originale stehen heute im Museum, 1994 wurden Kopien an der Wasserkunst angebracht.
Mein Urteil: alles sehenswert.