Noch wenige Schritte und ich bin am Ziel: an der Seebrücke von Binz auf der Insel Rügen. Nein, an diesem Ort will ich nicht einfach gehen, schreiten oder hasten. Auf der Seebrücke im Seebad Binz will ich flanieren.
So, wie man es vor über 100 Jahren tat. Zur Kaiserzeit. Denn damals, um die Jahrhundertwende, wurde die Binzer Seebrücke als erste der Insel Rügen gebaut. Für Urlauber, Einheimische und Ausflügler war das eine Sensation. Die Brücke von 1900 steht zwar schon lange nicht mehr, die heutige ist nicht mehr die einzige und längste auf der Insel Rügen, aber auf jeden Fall die mit der aufregendsten Historie.
Die Seebrücke in Binz sollte man in den Abendstunden besuchen. Dann, wenn die Sonne untergeht, ist es auf der Brücke besonders schön. Auch, wenn viele Urlauber gleiches auch Abend für Abend denken und den Steg bevölkern. Diese Seebrücke ist ein Muss bei einer Rügen-Reise. Die Seebrücke in Binz muss man gesehen haben Aber selbst dann findet man hier, auf einem der Balkone, ruhige Momente, kann Schiffe beobachten, weiter entfernt die weißen Wände der Kreidefelsen sehen und vom Brückenkopf beim Blick zurück Richtung Ufer das überdimensionale Binzer Kurhaus und die über drei Kilometer lange Strandpromenade ganz besonders erhebend anschauen.
Badegäste reisten nach Binz mit dem Schiff an
Schon 1895 hat man in Binz die Strandpromenade entlang der Ostsee gebaut. Vorbild waren die damals führenden europäischen Seebäder. Zugleich entstanden die ersten Villen an den Straßen im Ort. Die Urlauber von damals: Kaufleute, Rechtsanwälte und Ärzte samt ihren Frauen. Viele Badegäste suchten Binz nun auf. Sie reisten mit dem Schiff an. Der Weg an das Ufer war für die Urlauber beschwerlich.
Da größere Schiffe nicht in den flachen Küstenbereich kamen, mussten sie mit kleinen Booten am Schiff abgeholt und an Land gerudert werden. 1901 beschloss daher die Gemeindevertretung den Bau der Landungsbrücke, sodass Badegäste bequem über diese Seebrücke die Schiffe verlassen konnten.
370 Meter ist die Seebrücke heute lang. 1902, als man die erste Brücke am 22. Juli einweihte, reichte sie stolze 560 Meter weit in die Ostsee. Es gab elektrisches Licht und ein Restaurant auf der Holzkonstruktion.
Die erste Brücke wurde wenig später allerdings bei einer Sturmflut zerstört, 1905 wieder aufgebaut und auf den Namen „Prinz-Heinrich-Brücke“ getauft.
Die Tragödie von 1912
Am 28. Juli 1912 ereignete sich an der Seebrücke dann eine Tragödie, der bis heute in Binz nicht nur durch eine Gedenktafel gedacht wird, sondern die auch zur Gründung der Deutschen-Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) führte. Der Dampfer „Kronprinz Wilhelm“ hatte an diesem Tag angeblich rund 1000 Neugierige auf das hölzerne Bauwerk gelockt. Vermutlich unter der Last der aussteigenden Passagiere brach ein Querbalken, auf dem der untere Teil der Landungsbrücke auflag. 80 Personen stürzten in das an dieser Stelle sechs Meter tiefe Wasser.
Schreckliche Szenen spielen sich ab. Denn damals können nur fünf Prozent der Deutschen schwimmen. Die weiten Röcke der Frauen saugen sich schnell mit Wasser voll, sie gehen unter. Die Menschen auf dem Schiff und der Brücke schauen zu – denn kaum jemand traut sich, ebenfalls ins Wasser zu springen. Ein junger Sergeant der Garde wird an diesem Tag zum Helden. Denn er traut sich in die See, rettet zwölf Menschen. Ebenso springen einige Matrosen ins Wasser, retten ebenfalls Menschen. Dennoch: 16 ertrinken.
Die Seebrücke von Binz und die Gründung der DLRG
Den Toten des Unglücks wird bis heute an der Brücke durch eine Tafel gedacht. Die Berichte der Zeitungen hatten das Geschehen in ganz Deutschland bekannt gemacht und mehreren, im Rettungswesen des Schwimmverbandes engagierten Männern wichtige Argumente zur Gründung der DLRG (Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft) geliefert. Dies geschah dann auch knapp ein Jahr später. Seitdem werden Rettungsschwimmer ausgebildet und an Stränden sowie Badeseen eingesetzt.
1942 schlug die Natur zu. Eisschollen zerstörten im Winter die Binzer-Seebrücke. Die DDR-Regierung zeigte dann kein Interesse am Bau einer neuen Seebrücke. Über 50 Jahre vergingen. Am 21. Mai 1994 wurde die jetzige 370 Meter lange Landungsbrücke aus Holz, Stahl und Beton eingeweiht, die seitdem vom Motorschiff „Binz“ angelaufen wird. Zwar landen dort heute keine Schiffe mehr mit neuen Urlaubern – doch über die Zahl an Ausflüglern, die zu den Kreidefelsen wollen, kann man sich in Binz nicht beschweren.
Lucas Seidel says:
Wo befindet sich die Gedenktafel?
Ulrich Kronenberg says:
Wenn man vor der Seebrücke steht, auf der linken Seite. Soweit ich mich erinnere, in einem Blumenbeet. Allerdings war ich im Sommer 2015 da – ich hoffe, sie ist immer noch an der Stelle.