Sollte man sich heute noch mit Karl Marx beschäftigen? Im Karl Marx Haus in Trier kann dieser Frage nachgehen.
Doch hundert Jahre nach seinem Tod – und nach dem Ende dessen, was Marxismus genannt wurde, das Geburtshaus des deutschen Gesellschaftskritikers besuchen – ist das nicht unzeitgemäß? Kann Marx noch interessant sein? Um es kurz zu machen: Diese Fragen, vor denen ich vor dem Besuch des Karl-Marx-Hauses in Trier stand, muss ich jetzt mit einem eindeutigen „Ja, es ist interessant“ beantworten. Denn das Haus in Trier ist keine Gedenkstätte, kein Museum. Das Haus, heute Teil der Friedrich-Ebert-Stiftung, ist mehr.
In dem Barockgebäude an der Brückstraße im Zentrum Triers hat Karl Marx eigentlich nur wenige Jahre gewohnt. Die ersten eineinhalb Jahre seines Lebens wuchs er in seinem Geburtshaus auf. Das mehrstöckige Gebäude, es diente Vater Heinrich Marx auch als Anwaltskanzlei, mit Innenhof und Garten waren gemietet. Als Geburtshaus von Karl Marx wurde es 1928 von der SPD erworben und sollte Gedenkstätte werden.
Doch als 1933 die NSDAP das Haus beschlagnahmte und dort das Verlagshaus einer Zeitung einrichtete, war der Gedanke von Erinnerungsstätte zunächst beendet. Erst 1947 erhielt die SPD das Haus zurück, übergab es 1968 an die Friedrich-Ebert-Stiftung. Seitdem ist dort eine (immer wieder neu konzipierte) Dauerausstellung zum Leben, Werk und Wirkungsgeschichte von Karl Marx untergebracht.
Gedenk- und Dokumentationsstelle
Somit ist das Karl-Marx-Geburtshaus heute eine Mischung aus Gedenk- und Dokumentationsstelle der Deutschen Arbeiterbewegung, Forschungsinstitut und Museum. Eine überaus interessante Mischung. Denn sie wirft, über 100 Jahre nach dem Tod des Gesellschaftskritikers, zunächst Fragen auf, die in der Ausstellung angeschnitten, aber auch beantwortet werden: Wer war der Mann, der in diesem nach Wohlstand aussehenden Barockhaus aufwuchs? Aus welcher Familie stammte er, wie waren seine eigenen Lebensumstände? Denn Marx selbst lebte stets in ärmlichen Verhältnissen, lebte auch im Exil in Frankreich und England.
Besucher betreten zunächst den „grauen Kubus“, eine graue quadratische Grundfläche, die als „Raum im Raum“ das Haus durchdringt. Dieser eisengraue Kubus schafft Kontraste und Distanz, zugleich aber auch Orientierung und Ordnung, indem er Karl Marx zugeordnet ist. Anhand von Tafeln, Bildern und Kurzfilmen, Info-Terminals, Büchern wie „Das Kommunistische Manifest“ sowie „Das Kapital“, Zitat- und Zeittafeln und Auszügen aus Schriften, aber auch historischen Objekten – einige davon stammen von Marx oder gehörten seiner Familie – taucht der Besucher auf dem weiteren Weg durch das Haus in die Geschichte.
Wer war Karl Marx?
Wir erleben den jungen – den Gedichte schreibenden – Marx, lernen seine Familie, seine Jugendliebe und spätere Frau Jenny von Westphalen kennen, erfahren über den Einfluss seiner Lehrer in Trier, später der Professoren an den Universitäten.
Der Besucher begleitet ihn bei seinen ersten politisch-ökonomischen Studien und Zeitungsartikeln, lernt den jungen Journalisten und politischen Philosophen kennen, begleitet ihn in das Exil, lernt Friedrich Engels – seinen lebenslangen Freund und Mitkämpfer – kennen und begleitet Marx, inzwischen ein Universalgelehrter, in seinen letzten Jahren, die geprägt waren von Krankheit, familiären Schicksalsschlägen und Arbeit unter anderem am „Kapital“.
Fragen der Ausstellung
Wie Marx uns früher begleitet hat
Für mich selbst war es interessant in diesem Bereich der Dauerausstellung die Erfahrung zu machen, wie man Wissen wiederentdeckt. Denn die meisten der Namen, Ereignisse, Thesen und Ideen hat man – wer in den 50er und 60er Jahren geboren wurde – schon gehört und gelernt. In der Schule, an der Universität, im privaten Bereich darüber diskutiert. In den letzten beiden Jahrzehnten geriet vieles davon in Vergessenheit. In dieser Ausstellung wurde die Gedankenwelt von damals wiederbelebt.
Daher war es auch interessant, die Ausstellung in den weiteren Räumen zu verfolgen. Hier geht es um das Verhältnis von Marx und Engels zu der sich in den 1860er Jahren auf dem europäischen Kontinent herausbildenden organisierten Arbeiterbewegung, den frühen Marxismus, die Flügelbildung in der Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, die Spaltung während des Krieges und im Gefolge der Russischen Revolution sowie die Gegensätze zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten, die Spaltung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg und die Zeit seit 1989.
Der Rundgang endet mit dem Blick auf eine Weltkarte. Sie zeigt die weltweite Ausbreitung und Inanspruchnahme von marxistischen Einflüssen. Denn 1989 hat der Einfluss von Karl Marx nicht geendet. Bis zu 200 Schulklassen kommen jährlich in das Karl-Marx-Geburtshaus, sagt Museumspädagogin Margret Dietzen. Führungen, Geschichts-Rallys für Schüler, Fortbildungen und mehr.