Wir sind angekommen. Endlich. Avignon, die Stadt der Päpste im Tal der Rhone, liegt vor uns. Über den Dächern der Altstadt sehen wir bereits bei der Anfahrt den Papstpalast und am Rhoneufer die Pont Saint-Bénézet („Sur le pont d’Avignon“).
Meist rauscht man über die „Route du Soleil“, die Autobahn A7, die durch das Rhônetal von Lyon nach Marseille führt, Richtung Süden. Wer mit dem Pkw nach Spanien reist, der kommt an der Stadt Avignon vorbei. Die meisten Urlauber lassen die „Stadt der Päpste“ links liegen. Doch gerade Avignon ist ein überaus lohnenswertes Reiseziel in der Provence. Genauer: der Basse-Provence, der Niederprovence.
Über die Pont Édouard Daladier
Wir parken den Pkw auf dem großen Parkplatz auf der Île de la Barthelasse, der großen Insel in der Rhone. Von hier führt der Weg über die Pont Édouard Daladier zur Altstadt.
Schon von der Brücke sehen wir die eindrucksvollsten Bauten Avignons: Hinter der Stadtmauer erheben sich die Mauern des Palais des Papes, des Papstpalasts, daneben die Kathedrale Notre-Dame-des-Doms und die kahlen Felsen des Rocher des Doms, dem Felsvorsprung am Ufer der Rhone, zu dessen Füßen die Reste der Pont Saint-Bénézet, auch Pont d’Avignon genannt, liegen. Die Brücke, deren Bögen weit in den Rhonearm ragen, schöpft ihre Bekanntheit aus einem Lied: „Sur le pont d’Avignon“.
Die Altstadt von Avignon betreten wir durch die Porte de l’Oulle. Vor uns liegt nun das Wirrwar der Gassen und Gänge, der prächtigen mittelalterliche Häuser und der kleinen Plätze.
Unser Weg führt Richtung Papstpalast. Wir waren in den letzten 40 Jahren immer wieder in den Gassen der Altstadt unterwegs. Natürlich hat sich Avignon in dieser Zeit verändert. Immer wieder stoßen wir auf Neubauten, die sich protzig zwischen dem alten Hausbestand ausbreiten.
Die Stadt der Päpste
Es waren Phokäer, die im 5. bis 6. Jahrhundert vor Christus von Marseille aus kommend, Avignon als Hafen und Warenumschlagplatz gründeten. Avenio, „Stadt der gewaltigen Winde“, nannten sie den Ort. Mit den Winden dürfte der scharfe Mistral gemeint sein. Ein heftiger Wind, der oft tagelang vom 1900 Meter hohen Mont Ventoux durch die Straßen fegt. Nach den Phökäer kamen die Römer. Colonia Iulia Augusta Avenionesium nannten sie ihre Kolonie. Im Lauf der Jahrhunderte gehörte die Stadt zunächst zum Königreich Arelat, später war sie Teil des Heiligen Römischen Reichs, noch später dann war sie selbst verwaltende Stadtrepublik.
Eine Wende trat Ende des 13. Jahrhunderts ein. Avignon unterstand dem König von Neapel und gleichzeitigem Grafen der Provence, Karl II. von Anjou. Der Graf war ein treuer Vasall der Kirche und bot den Päpsten in Rom, die in die römischen Machtkämpfe Anfang des 14. Jahrhunderts verstrickt waren, Avignon als Papstsitz und damit als Hauptstadt des Christentums an.
Als 1305 Clemens V., ein Franzose, zum Papst gewählt wurde, zog der erst gar nicht nach Rom, sondern in das Dominikanerkloster in Avignon. Sein Nachfolger, Johannes XXII. wohnte dann im Bischofspalast neben der Kathedrale Notre-Dame des Doms. Erst Benedikt XII. ließ ab 1335 den vierflügeligen „alte Palast“ (Palais vieux) bauen. Seine Nachfolger Clemens VI. und Innozenz VI. erweiterten den Palast um den neuen Palast.
70 Jahre lang war die Stadt Sitz der Päpste. Sieben römische Päpste und zwei Gegenpäpste regierten hier.
Das Zentrum des Christentums
Wir erreichen die Rue de la Republique. Ein Karussell dreht sich auf dem Place de l’Horloge. Das stand schon vor 20 Jahren hier. Zu Hause liegt in einer Schublade noch ein Ticket für eine Fahrt. Cafés und Restaurants gibt es an dem Platz gegenüber der Oper übrigens zuhauf. Zeit für eine Pause.
Ein schmaler Durchgang führt zum Papstpalast, dessen festungsartigen hohen Mauern sich plötzlich vor uns erheben. Hier stand einer der glanzvollsten Höfe des Mittelalters.
Der Bau besteht aus zwei Teilen. Dem alten Palast, den Benedikt XII bauen ließ, und dem neuen Palast. Dessen Erbauer, Clemens VI, kaufte sogar die ganze Stadt Avignon und machte sie zum Teil des Kirchenstaates.
Ob Stadtmauer, gotische Kirchen, Kardinalspaläste, Klöster und Türme, das alles entstand zur Zeit der Päpste. Wie lebhaft mag es damals auf dem großen Platz vor dem Palast zugegangen sein? Denn mit den Päpsten kamen Kardinäle, Adlige, Kaufleute, Architekten, Künstler und Handwerker.
Avignon wuchs nun zu einer der größten Städte Westeuropas. 30.000 Einwohner machten Avignon auch zu einem künstlerischen und kulturellen Zentrum. 1417 verließ der letzte Papst Avignon. Als der offizielle Papst nach Rom zurückgekehrt war, regierten in Avignon die Gegenpäpste. Doch dann verließen auch Prunk und Protz die Stadt. Doch die Bauten blieben bestehen und sind heute ein Grund, warum man Avignon besuchen sollte.
Wir steigen die wenigen Treppenstufen zum Eingang des Papstpalastes hoch. Der Koloss, der die Dächer der umliegenden Paläste überragt, gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO. Er gilt als größter gotischer Palast der Welt.
Für die Innenbesichtigung gibt es thematische Führungen oder freie Besichtigungen mit Audioguide oder Tablett. Dank der Augmented reality-Technologie kann man die Innenräume sehen, wie sie damals ausgesehen haben sollen. Denn sämtliche Einrichtung, und die wird überaus prunkvoll gewesen sein, ging während der Französischen Revolution verloren. Die Gänge und Räume sind heute kahl und leer.
Wer sich dennoch auf den Weg durch die über 20 Räume macht, sieht Ehrenhof und Innenhöfe, Kapellen, Kreuzgänge, Kirchen, Prunksäle und auch die Privatgemächer der Päpste. Empfehlenswert ist auch der Blick von der Dachterrasse über die Dächer der Stadt.
In der Notre-Dame des Doms
Neben dem Palast führen Stufen hoch zur Cathédrale Notre-Dame des Doms d’Avignon, von deren Turmspitze eine vergoldete Marienstatue auf die Stadt schaut. Die Statue wurde im 19. Jahrhundert installiert, während die Mauern der Kirche aus dem 12. Jahrhundert sind. Mehrmals wurde die Kirche umgebaut, erweitert und restauriert. Ihr Baustil ist provenzalisch-romanisch.
Innen steht der Bischofsthron aus dem 12. Jahrhundert. Auf dem Thron aus weißem Marmor nahmen die Päpste Platz. Neben der Schatzkammer ist vor allem das Mausoleum von Papst Johannes XXII. sehenswert. Es ist ein Meisterwerk gotischer Schnitzkunst aus dem 14. Jahrhundert. Auch das Grabmal von Benedikt XII ist sehenswert.
Neben der Kirche führt eine Treppe auf den Rocher des Dom, einen Felsvorsprung über der Rhone. Von diesem hübsch gestalteten Park, dem Namen nach der „Garten der Päpste“, schweift unser Blick über die Altstadt mit der Stadtmauer, die ruhig dahin fließende Rhone mit den dahin ziehenden Ausflugsbooten und die Brücke von Avignon.
Pont Saint-Bénézet
Pont Saint-Bénézet heißt die bekannte Brücke, von deren ehemals 22 Brückenbögen nur noch vier erhalten sind. Die Brücke endet heute mitten im Fluss.
Der Zugang befindet sich auf der Stadtmauer. Per Audioguide lassen wir uns in ihre Geschichte entführen. Im 12. Jahrhundert als einziger Übergang von Avignon auf die Flussinsel Barthelasse (dort befand sich ein Vergnügungsviertel) gebaut, stürzte sie wegen Hochwasser mehrmals ein, bis man sich 1669 entschloss, die Brücke nicht mehr wiederaufzubauen.
Berühmt wurde sie durch das Volkslied „Sur le pont d’Avignon“. Damals wurde übrigens nicht auf, sondern unter der Brücke getanzt. Dort nämlich gab es eine eigene „Kneipenkultur“.
Vom nahen Place de la Republique aus durchstreifen wir die Straßen und Gassen der Altstadt mit prächtigen Renaissance-Villen, den Patrizierhäusern mit hübschen Fassaden, Kardinalspalästen, Kirchen und Klöster, mehreren Museen, kleinen Plätzen, Cafés und Restaurants.
Bei der Besichtigung des Papstpalastes fiel uns die Zuschauertribüne im Innenhof auf. Sie gehört zum jährlich im Sommer in Avignon stattfindenden Theaterfestival. Als wir die Festivalwochen bei einem Aufenthalt miterlebten, waren wir begeistert.
Es sind weniger die großartigen Aufführungen in den Theatern und im Papstpalast, sondern es ist das rege Treiben in der Altstadt, wo kleine Theatergruppen an fast jeder Ecke spielen, ihre Darstellungen zeigen. Die Abende boten uns eine Atmosphäre, wie wir sie im kunsthistorisch bedeutenden Avignon nie zuvor erlebt hatten.
Über die Pont Édouard Daladier verlassen wir Avignon. Von hieraus ist der Papstpalast über den Dächern der Altstadt gut zu sehen. Besonders in den Abendstunden.
Bei früheren Aufenthalten in der Stadt der Päpste gehörte der abendliche Spaziergang zum Rhoneufer auf der Île de la Barthelasse zum täglichen Programm. Egal wo wir in Avignon wohnten. Denn genau von hier, mit diesem Anblick, lässt sich die Schönheit Avignons bestens genießen.