Schloss Büdingen in Hessen wurde als Wasserburg im 12. Jahrhundert gebaut. Bis heute ist das Schloss bewohnt. Bei einer Führung kann man die Innenräume ansehen.
Beharrlich starre ich dem „Wilden Mann“ in die glanzlosen stumpfen Augen. Er hat meine Größe. Sein Oberkörper zeigt kräftige Muskeln und er stützt sich auf eine wuchtige Keule. Der stumme Bärtige hält meinem inzwischen finsteren Blick stand. Ohne Regung. Kein Wunder. Er ist aus Buntsandstein gemacht. Genauso, wie sein Pendant nur wenige Meter daneben. Sein Zwilling sozusagen. Sie bewachen beide schweigend das verschlossene Tor von Schloss Büdingen.
Eigentlich ist das Schloss eine gewaltige Burganlage am Rand von Büdingen, der romantischen Kleinstadt in der Wetterau am Fuß des Vogelsbergs. Stadt und Schloss gehören zusammen, hat man mir in der 8000 Einwohnerstadt gesagt. Die Stadt selbst, ein Sammelsurium der prächtigsten mittelalterlichen Bauten aus Buntsandstein und Fachwerk, grenzt gleich an die Burgmauern und den Wassergraben, ist weniger als einen Steinwurf entfernt.
Christa Hollnagel begrüßt mich im Vorhof. Genauso wie die Kernburg, die sich hinter dem verschlossenen Tor mit den „Wilden Männern“ befindet, bilden die Gebäude des Vorhofes ein Rund. Während die eigentliche Burg eher dreizehneckig statt kreisrund ist – das liegt am Bau aus großen dicken Buckelquadern, zeigt der Vorhof schon eher einen Kreis mit alten Bäumen in der Mitte. Hier, wo früher der Wirtschaftshof lag und die Diener wohnten, befinden sich heute Hotelzimmer.
Schloss Büdingen wurde als eine staufische Wasserburg im 12. Jahrhundert gebaut. Im Laufe der Jahrhunderte ist daraus ein wehrhaftes Schloss und Residenz der Grafschaft Isenburg geworden, erzählt Christa Hollnagel, die nun mit einem großen Schlüssel das Tor zum Innenhof der Kernburg öffnet. Vielleicht begegnen wir ja der Fürstenfamilie, die hier wohnt, überlege ich. Der Fürst zu Ysenburg-Büdingen und seine Gemahlin nämlich leben im Schloss. Eines der richtig alten Adelsgeschlechter, heißt es. Hochadel, hat man mir in Büdingen versichert.
Hohe Mauern, Erker, Türmchen
Vorbei an alt aussehenden Ledereimern, mit denen man im Fall eines Brandes Löschwasser transportiert hätte, betreten wir den Schlosshof. Hohe Mauern, verschieden aussehende Wohngebäude mit Erkern und Türmchen und ein seltsam geformter wuchtiger hoher Turm umgeben uns in diesem Dreizehneck. Christa Hollnagel zeigt auf ein Wappen am Schlosstor. Ein weißer Schild mit zwei schwarzen Streifen quer geteilt. Das Wappen des Büdinger Adelsgeschlechts, sagt meine Begleiterin fast ehrfurchtsvoll.
Kaiser Barbarossa, erzählt sie, hatte im nahen Gelnhausen eine Pfalz. Als er in den Wäldern um Büdingen auf der Jagd war, verirrte er sich. Ein Köhler half ihm aus dem Wald, indem er ihm den Weg mit zwei rußig-schwarzen Fingern in den weißen Schnee malte. „Zwei schwarze Streifen auf weißen Untergrund“, sagt Christa Hollnagel bekräftigend und zeigt auf das Wappen am Tor. „Das Land hat Kaiser Barbarossa zum Dank dann dem Köhler geschenkt. Er war der erste Herr von Büdingen.“ Egal ob die Geschichte wahr ist: das Wappen am Schlosstor zeigt, wie alt die Familie mit diesem Zeichen ist. Denn je schlichter das Wappen, umso älter das Adelsgeschlecht.
Die Herren von Büdingen, Burggrafen in Gelnhausen und im Dienste Barbarossas stehend, werden zum ersten Mal 1131 urkundlich erwähnt. Im 13. Jahrhundert wurde ihr Besitz unter mehreren Erben geteilt.
700 Jahre Geschichte von Haus und Familie
Das Haus Isenburg – später schreibt man sich mit Y statt I – aus der Nähe von Koblenz tritt nun in der Wetterau in Erscheinung und residiert bis heute auf Burg Büdingen. Und diese Familie baute den Besitz nicht nur weiter aus, auch die Bürger der Stadt profitierten von dem Reichtum und Besitz. Denn die Büdinger wurden, auch dank des verliehenen Marktrechtes, richtig wohlhabend.
In ihrer Tasche hat Christa Hollnagel Bilder und Zeichnungen dabei. Und ein Heft über die Adelsfamilie und den Schlossbau. So kann sie beim Erzählen zugleich auch Bilder zeigen. Die über 700-Jährige Geschichte einer Familie und einer Burg ist nämlich nicht einfach zu vermitteln. Ab 1327 gehört die Burg den Ysenburgern. Bis 1601 bauen – wiederum durch eine Erbteilung – zwei Linien der Familie die Burg getrennt aus. Die Ysenburg-Ronneburger und Isenburg-Birsteiner. Erst mit Wolfgang Ernst als Gesamterbe der Grafschaft gab es ab dem 17. Jahrhundert wieder einen alleinigen Besitzer des Schlosses. Zwar im Dreißigjährigen Krieg geplündert, aber nie zerstört – so sieht die weitere Geschichte aus.
Otto Friederich, Fürst zu Ysenburg-Büdingen
1941 zieht Otto Friederich, Fürst zu Ysenburg-Büdingen, ins Schloss, restauriert es und macht Teile davon für die Öffentlichkeit zugänglich. Seit dem Tod des Fürsten 1990 residiert hier dessen Sohn Wolfgang Ernst mit seiner Gattin Leonille, Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg.
Im Schlosshof holt meine Begleitung aus. So viel über die unterschiedlichen Bauweisen und die Geschichte sprudeln aus ihr heraus – dem Zuhörer schwirrt es im Kopf. Auch angesichts der Schönheit dieser Gebäude, die mich umgeben. Auf einem Eichenpfahlrost sei die Anlage gebaut, erzählt die Führerin. Wegen des sumpfigen Geländes, sagt sie. Zunächst habe man die eckigen Mauern errichtet, dann an deren Innenseite die Gebäude. Die verschiedensten Baustile aus allen Epochen verschmelzen hier. Schließlich bauten viele verschiedene Herrscher zu unterschiedlichen Zeiten am Schloss.
Beeindruckend der Palas im romanischen Stil und die gotische Burgkapelle. Dann der Küchenbau, der Festsaal. Der Burgturm aus fünf übereinander liegenden Gewölben – reinkam man nur weiter oben mithilfe einer Leiter – wurde im Form eines „Butterfassturms“ errichtet, sagt die Führerin. Breiter Unterturm und schmaler Oberturm, erklärt sie schmunzelnd. Wir betrachten die Treppentürme und Erker – alle mit Ornamenten verziert. Gegenüber dem Palas befindet sich heute das Wohngebäude der Fürstenfamilie.
Genau in diesem Augenblick passiert es. Ein schwarzer SUV rollt langsam in den Innenhof. Eine ältere Frau sitzt drin. „Die Fürstin“, flüstert meine Führerin respektvoll. Und tatsächlich. Die Fürstin grüßt uns mit leichtem Kopfnicken. Der Wagen hält vor dem Wohntrakt, die Fürstin steigt aus und verschwindet hinter einer mächtigen Eichentür. Ich atme durch. „Die Fürstenfamilie, das sind fast ganz normale Leute“, erklärt Christa Hollnagel. „Fast normal“, murmele ich und folge nun ins Innere des Schlosses.
Wir betreten das „Gemalte Zimmer“ mit seinem schrägen Steinfußboden und den Zeichnungen aus dem Mittelalter an der Gewölbedecke. Mit den Wappen zweier Familien aus dem 14. Jahrhundert an den Wänden und Darstellungen von Propheten an der Decke – gemalt um 1546 – , dürfte der Raum zum Wertvollsten im Schloss zählen. Warum die Deckenbilder so gut erhalten sind?
Christa Hollnagel kennt die Antwort: „Wenige Jahre nach der Entstehung hat man die Bilder mit weißer Farbe übermalt. Das wurde erst um 1940 entdeckt. Da hat man die Bilder wieder freigelegt.“ Warum übermalt man solch schöne Bilder? „Weil die Besitzer des Schlosses zum Calvinismus übertraten. Und da war solcher Schmuck nicht erwünscht. Also übermalte man ihn…“, erklärt die Führerin.
Im Gemalten Zimmer in Schloss Büdingen
Weiter gehen wir durch die Alchemistenküche, wo man Heilmittel gegen Krankheiten herzustellen versuchte, und kommen zur Schlosskapelle. Die Umbauten der einstmals romanischen Kapelle haben den Raum verzaubert. Denn wer meint, in Kirchen müsse alles geordnet und gradlinig sein, der täuscht sich. Die Baumeister mussten mit den Rundungen in der dreizehneckigen Burg klarkommen. Die Wände der Kapelle nämlich sind nicht gerade. Den abgewinkelten Wehrgang hat man als Galerie mit einbezogen. Überspannt wird der Raum von einem Netzwerk aus Gewölberippen. Keine scheint gerade, nichts ist geordnet. Dazu das Chorgestühl aus Eiche – „Strahlt dieser Raum nicht Gemütlichkeit aus?“, fragt meine Begleiterin. Ich nicke zustimmend.
Im Speisesaal ist der Tisch gedeckt
„Wir gehen jetzt in die Privatgemächer der Fürstenfamilie“, kündet Christa Hollnagel an. Sie schließt die Tür auf – und wir stehen in einem „Wohnzimmer“ (man riecht, dass erst kürzlich Feuer im Kamin brannte) mit kostbaren Deckengemälden und der Einrichtung, wie man es in einer fürstlichen Wohnung erwartet – von kostenbaren Sitzmöbeln, verziertem Schreibtisch und luxuriösem Geschirr und in einem Speisesaal mit gedecktem riesigem Esstisch.
„Die Familie hält sich hier an Sonn- und Feiertagen immer wieder mal auf“, erzählt meine Begleiterin. Ich bin schon wieder beeindruckt und versuche mehr über die Familie zu erfahren. Doch Christa Hollnagel ist da verschwiegen. Und so erzähle ich nicht, dass ich in Zeitungen von der finanziellen Misere des Fürsten gelesen haben.
Zapfenstreich der Büdinger Schützen
Der ihm gehörende Wald (angeblich einer der größten Privatwälder Hessens), die Brauerei und weitere Firmen musste er verkaufen. Doch das ist mir unwichtig, als meine Begleitung von den Büdinger Schützen erzählt. Das nämlich ist eine der ältesten Schützenbruderschaften Deutschlands. Um die Fürstenfamilie zu ehren, ziehen die Schützen bei bestimmten Festen in den Schlosshof. Ihre Musiker geben dann ein Konzert, wie ein Zapfenstreich, beschreibt es meine Führerin. Sie selbst habe schon einmal mit der Familie am offenen Fenster stehen dürfen und den Klängen gelauscht.
Im Schlosshof verabschiede ich mich von Christa Hollnagel. Fast drei Stunden waren wir gemeinsam unterwegs. Ihre Erzählungen und ihr Wissen haben mich begeistert. Am Tor schaue ich zu den beiden „Wilden Männern“ hinüber. Um Mitternacht, hat man mir im Ort erzählt, wechseln die beiden blitzschnell die Seiten am Tor. Von rechts nach links und umgekehrt. Das kann aber nur der sehen, der noch nie gelogen hat, heißt es. Gut. Um Mitternacht brauche ich mich also hier nicht auf die Lauer zu legen, überlege ich.
Brigitte Goerke says:
Ich bin begeistert von dem, mir völlig unbekannten Städtchen. Habe die gestempelt Nummer auf meinem Bioei angegeben. Über Eier habe ich allerdings nichts erfahren. Ich muss dort unbedingt mal hin.