Unseren ersten Besuch in Tarascon verdanken wir Alphonse Daudet und Herrn Tartarin de Tarascon. Dabei gibt es in Tarascon, 20 Kilometer südlich von Avignon, noch mehr zu sehen: ein Schloss, das aussieht wie ein Gefängnis, eine Heilige, die ein Monster besiegte und eine Kirche, in der man eine kleine Mutprobe bestehen kann.
In Tarascon am Ufer der Rhone ließ Daudet, einer der beliebtesten französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, seine Erzählungen spielen. Insbesondere die des „heldenhaften“ Rentners Tartarin.
Hier ist alles eine Erfindung von Daudet. Weder lebte der Schriftsteller in der Rhonestadt, noch gab es die Person des Tartarin. Und auch die Mühle im nahen Fontvieille, in der Daudet gewohnt haben will, und ein ebenfalls bekanntes Buch in Briefform geschrieben haben will, hat der Schriftsteller nie bewohnt.
Alphonse Daudet wurde 1840 in nahen Nimes geboren. Tatsächlich war mit dem Provencedichter Frédéric Mistral befreundet, doch Daudet lebte und schrieb in Paris.
Im „Maison de Tartarin“
Dennoch ist und war die Stadt Tarascon ein Ort, den man besuchen sollte. Egal, ob man Daudet kennt und gelesen hat oder nicht.
Bei unserem ersten Besuch in Tarascon gab es hier sogar das „Maison de Tartarin“, das angebliche Wohnhaus des Romanhelden Tartarin zu besichtigen. Einige Räume waren eingerichtet. Mit Schaufensterpuppen stellte man zudem Szenen aus dem Tartarin-Buch nach.
Eigentlich gibt es sogar drei Tartarin-Bücher von Daudet. Das bekannteste ist aber das erste Buch. „Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon“ ist 1872 erschienen.
Darum geht es im „Tartarin von Tarascon“
Daudets Tartarin ist ein Aufschneider. Der kleine, gewichtige ältere Herr hat sein Haus eingerichtet wie ein Abenteurer und Großwildjäger, kleidet sich ungewöhnlich und redet geheimnisvoll. Also hält jeder in Tararscon ihn für einen Helden und bekannten Weltreisenden. Dabei hat der Aufschneider Tartarin die Stadt noch nie verlassen.
Durch einige Zufälle wird er genötigt, tatsächlich auf Löwenjagd in Afrika zu gehen. Das Buch beschreibt im humorvoll-spöttischen Ton Tartarins „Abenteuer“ in Algerien. Einem Land, das Daudet bei einer Reise kennengelernt hatte.
Bei der Überfahrt wird Tartarin seekrank; er gerät an einen Hochstapler, erschießt versehentlich einen Esel und erlegt am Ende einen alten, zahmen und blinden Löwen. Mit dessen Fell als Beute kehrt er nach Tarascon zurück und wird nun von den Einwohnern als richtiger Held gefeiert.
Ausstellung und Festumzug
Das „Haus des Tartarin“ gibt es seit einigen Jahren nicht mehr. Das Gebäude ist heute ein normales Wohnhaus. Einige der Ausstellungsobjekte sind im Cloître des Cordeliers, einem kleinen Museum im Kreuzgang eines Klosters, zu sehen.
In Tarascon verehrt man Tartarin bis heute. Sogar ein Fest samt Umzug mit einem „echten“ Tartarin, den sogar der Bürgermeister begrüßt, gibt es.
In Daudets Mühle in Fontvieille
Einen weiteren literarischen Erfolg feierte Daudet mit „Briefe aus meiner Mühle“, einer Sammlung von Geschichten, die in der Provence handeln. Zwar besaß Daudet hier keine Mühle und wohnte auch nicht darin. Dennoch kann man diese Mühle finden.
Nahe dem Ort Fontvieille, nicht weit von Tarascon entfernt, steht „Daudets Mühle“. Die provenzalische Windmühle, die Daudet inspirierte, hat einen Raum, den man besichtigen kann. Im Innern gibt es einige Erinnerungen an Daudet und an das Buch „Lettres de mon Moulin“ zu sehen.
Die Mühle auf dem kleinen Hügel wurde 1814 erbaut und bis zum Ersten Weltkrieg genutzt. Dank Daudet ist die restaurierte Mühle heute eine touristische Attraktion und wird viel besucht.
Schloss und Gefängnis
Wenn man sich der Altstadt nähert, sieht man zunächst das gewaltige Schloss Tarascon am Rhoneufer. Gebaut wurde die spätmittelalterliche Burg in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Die Wasserburg war das höchste Gebäude in der Region. Alle Burgteile haben die gleiche Höhe. Die Hauptburg hat einen fast quadratischen Grundriss. Zwischen den vier Türmen gibt es die herrschaftlichen Gemächer samt Kapelle.
Hinter der Vorburg mit den Wirtschaftsgebäuden liegt der Innenhof, von dem man über eine Treppe in einem Turm die oberen Stockwerke erreicht. Das Dach ist flach und von einem Zinnenkranz umgeben. Der Weg nach oben lohnt allein wegen der fantastischen Aussicht über das Rhonetal.
Von Ludwig II. und dessen Sohn Ludwig III. gebaut, fiel das Schloss später an König René I., genannt „der gute König“. Er nutzte das Schloss als Residenz.
Zwischen 1642 und 1926 wurde die Burgräume als Gefängnis genutzt. Es gab Einzelzellen und Zellen für mehrere Gefangene. An den Zellenwänden sieht man bis heute geritzte Bilder, die Gefangene hinterließen.
Der Drache und die Heilige Martha
In einer Ausstellung im Schloss geht es auch um die „Tarasque“. Das ist der Drachen, dem die Stadt ihren Namen verdankt. Der Drache wurde von der Heiligen Martha besiegt, die ihn mit einem Kreuzzeichen und ihrem Gesang in den Schlaf wiegte. Die Bewohner von Tarascon töteten daraufhin den Drachen.
Gegenüber dem Schloss liegt die Kirche Sainte-Marthe, gebaut im 12. Jahrhundert. Hier wurde die Heilige Martha bestattet. Im Innern zeigt ein Gemälde, wie Martha die Tarasque besiegte. In einer Kapelle findet man den aus vergoldetem Kupfer bestehenden Schrein mit der angeblich wundertätigen Reliquie der Heiligen.
Für Besucher interessant ist auch der Kenotaph in der Krypta. Der Sarkophag, eigentlich ein Scheingrab, hat ein Loch im unteren Teil, durch das die Pilger im Mittelalter die Reliquie berühren konnten, ohne sie allerdings zu sehen. Bis heute ist es eine kleine Mutprobe, die eigene Hand in das dunkle Loch zu stecken.
Mit einem Blick zurück auf die hohen Mauern von Schloss Tarascon verlassen wir die Stadt. Mythen, Geschichten und Geschichte haben wir hier erlebt.
Die Straßen wirken in der Mittagszeit verlassen. Der große Parkplatz vor der Kirche ist fast leer. Vielleicht beobachtet uns gerade Tartarin von Tarascon, während er verborgen hinter einem Zaun lauert. Wir steigen in den Pkw. Besser weg hier. Vielleicht hat Tartarin ja sein Jagdgewehr dabei…